Das Herz kommt aus Kamenz

Die Firma Deutsche Accumotive sucht noch über 300 neue Mitarbeiter, um in Kamenz die Batterien für den Elektro-SUV von Daimler zu bauen.

Jeder erste Tag im Monat ist bei der Deutschen Accumotive in Kamenz „Welcome Day“. „Dann begrüßen wir derzeit immer rund 60 bis 70 neue Kollegen“, berichtet Standortsprecherin Ines Heger. Die hundertprozentige Daimler-Tochter stellt derzeit kräftig Mitarbeiter ein für das zweite Produktionswerk. Und eine erste Möglichkeit, die September-Einsteiger kennenzulernen, bot sich am Dienstag. Gemeinsam schauen neue wie alte Kollegen mit Geschäftsführer Erhard Schletterer den Livestream von der Weltpremiere des rein elektrischen EQC, des ersten Fahrzeugs in der neuen Markenfamilie EQ, in Stockholm. „Jeder Mitarbeiter in Kamenz hat den Link zum Livestream erhalten. Ein wenig Aufregung ist schon zu spüren“, berichtete Heger wenige Stunden vorher im 1 200 Kilometer entfernten Stockholm.

Der EQC ist wichtig für Kamenz, hängen doch vom Erfolg des Elektro-SUVs und der weiteren E-Modelle, die Daimler bis 2022 auf den Markt bringen will, Hunderte von Jobs in Kamenz ab. Denn die modulare Lithium-Ionen-Batterie im Boden des Fahrzeugs, das sich auf der Stockholmer Bühne im Blitzlichtgewitter dreht, stammt aus der Oberlausitz. Der sächsische Standort mit über 700 Beschäftigten fertigt künftig die Lithium-Ionen-Batterien für alle elektrifizierten Fahrzeuge der Marken Mercedes-Benz und Smart.

Daimler baut in Kamenz eine der modernsten Batterieproduktionen der Welt auf. Momentan sind 40 offene Stellen auf dem Stellenportal der Daimler AG und der Internetseite von Accumotive ausgeschrieben. Gesucht werden Meister, Ingenieure und Fachkräfte mit technischer und elektrotechnischer Qualifikation für die Produktion und die Instandhaltung. Die Hälfte der gesuchten Mitarbeiter sei schon eingestellt. Aber in den nächsten Monaten werden laut Heger noch zwischen 300 und 500 Stellen folgen. „Wir werben aktiv um neue Mitarbeiter mit einem gezielten Set an Werbemaßnahmen. Zugleich kooperieren wir mit Partnern wie der Agentur für Arbeit oder nutzen spezielle Programme zum Fachkräfteaustausch“, betont ihr Chef, Accumotive-Geschäftsführer Erhard Schletterer. Daimler hat eine Arbeitgeber- und Imagekampagne in Ostsachsen gestartet. Ab Oktober soll auf großen Plakatwänden um neue Mitarbeiter geworben und zugleich die neue Marke EQ bekannt gemacht werden. Das klingt danach, als ob auch die Daimler-Tochter den Fachkräftemangel langsam zu spüren bekommt.

Batterieproduktion seit 2012

Bei der Grundsteinlegung für das zweite Werk im Oktober 2016 hatte der Mercedes-Vorstand angekündigt, Kamenz zum Kompetenzzentrum der globalen Batterieproduktion auszubauen. Eine Milliarde Euro fließt in den Verbund von acht Werken weltweit. In Sachsen läuft die Batterieproduktion seit 2012. Daimler kündigte kürzlich an, an den Standorten Sindelfingen und Untertürkheim zwei zusätzliche Batteriefabriken bauen zu wollen. Auch für die Mercedes-Benz-Produktionen in Tuscaloosa (USA) und in Bangkok sind welche geplant. Laut Schletterer sei die Mannschaft in Kamenz im Sinne eines Kompetenzzentrums in dieses schrittweise Knüpfen des Produktionsnetzwerks eingebunden. „Ihr Wissen und ihre Erfahrungen haben einen wesentlichen Anteil daran, die Elektromobilität weltweit auf die Straße zu bringen“, so Schletterer.

Daimler investiert zwar viel Geld in neue Batteriewerke. Doch die Zellen, die das Herzstück jeder Batterie sind, kauft der Autobauer auch wie die anderen deutschen Hersteller in Asien zu. Daimler hatte 2015 seine Zellfertigung bei der ebenfalls in Kamenz ansässigen Tochterfirma Litec wegen Überkapazitäten am Markt geschlossen und kauft seitdem bei zwei Herstellern in Südkorea zu. Die Abhängigkeit von Asien hält Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht langfristig für gefährlich. „Man macht sich nicht nur von der Technologie abhängig, sondern auch erpressbar, wenn die Marktmacht des Lieferanten nachher dazu führt, dass er Preise und solche Dinge diktieren kann“, betonte Brecht kürzlich in einem Interview. Er fordert eine deutsche und europäische Lösung, schon als „Selbstschutz“.

Viele wollen elektrisch fahren

Die EU-Kommission hat im vergangenen Jahr eine Europäische Batterie-Allianz gegründet, um den Autobauern und Lieferanten die Angst vor den Investitionskosten in eine eigene europäische Batteriezellenproduktion etwas zu nehmen. Die Kosten dafür werden auf rund 20 Milliarden Euro geschätzt. Die Angst ist groß, da diese Summe bei der noch geringen Zahl an Elektroautos, die auf den Straßen unterwegs sind, kaum wieder erwirtschaftet werden könne. Der Marktanteil von reinen Elektroautos an neuzugelassenen Fahrzeugen liegt in Deutschland immer noch bei mageren zwei Prozent. Daran soll sich nach internen Studien der Automobil-Wirtschaft auch bis zum Jahr 2022 wenig ändern. Aber vielleicht kommt doch schneller als gedacht mehr Dynamik in den Absatz von Elektroflitzern. Die KfW-Bank veröffentlichte im August erstmals ihr Energiewendebarometer, eine Umfrage unter 4 000 deutschen Haushalten. Ein Ergebnis: Jeder sechste Haushalt plant die Anschaffung eines Elektroautos. Ein SUV für die Familie steht da sicher hoch im Kurs der Wünsche. Jetzt kommt es darauf an, ob sich die potenziellen Kunden ihn auch leisten können.

Erschienen in der Sächsischen Zeitung am 05.09.2018

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